Sergio Ramos von Real Madrid © picture alliance / NurPhoto

Football Leaks

Weltstar Ramos ein Dopingsünder? - Real-Arzt als Sündenbock

von der Football-Leaks-Redaktion des NDR

Real Madrids Kapitän Sergio Ramos hat gleich zweimal die Anti-Doping-Regeln verletzt. Die Europäische Fußball-Union UEFA ließ Gnade vor Recht ergehen. Auch die spanischen Doping-Fahnder sahen bisher keinen Grund für eine Sperre. Sportrechts-Experte Michael Lehner spricht im NDR von einer "verweigerten Dopingkontrolle", die "normalerweise zu einer Sperre führen müsste". Ramos bestritt ein Fehlverhalten.

Die Triumphe in der "Königsklasse" hat er auf seinem Unterschenkel verewigt. Dass zumindest einer davon einen womöglich schalen Beigeschmack hat, gibt die Tätowierung auf Sergio Ramos' Fußballerwade nicht preis. Der Kapitän des spanischen Rekordmeisters Real Madrid wurde nach dem 4:1-Erfolg in der Champions League gegen Juventus Turin am Abend des 3. Juni 2017 offenbar positiv getestet - ohne dass der Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln ans Licht der Öffentlichkeit gelangt und geahndet worden wäre. Gelten die Bestimmungen etwa nicht für alle? Football-Leaks-Dokumente, die der "Spiegel" erhalten und mit dem NDR und dem Recherchenetzwerk EIC geteilt hat, lassen Zweifel daran aufkommen. Zumal es offensichtlich nicht der einzige Fall war, bei dem Ramos mit den Regeln in Konflikt geriet und eine mögliche Sperre riskierte.

Royaler Besuch beim Dopingtest

Es war ein ziemliches Durcheinander damals in den Katakomben des City Stadions in Cardiff. Während der Weltmeister und zweimalige Europameister im Kontrollraum darauf wartete, sich seiner Dopingprobe entledigen zu können, kam der frühere spanische König Juan Carlos - ein bekennender Real-Fan - mitsamt dem spanischen Ministerpräsidenten hinzu und beglückwünschte den Spieler, den er in der Umkleide nicht hatte finden können. Erst als Ramos schließlich ein Fläschchen mit 110 Milliliter Urin abgeliefert hatte, konnte er seinen feiernden Kollegen eine halbe Stunde nach Mitternacht folgen. Gut einen Monat später bekam die UEFA das Ergebnis der Laboruntersuchung übermittelt: Der Test war positiv, enthielt Dexamethason, das auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Dopingagentur (WADA) steht.

Knapper Erklärungsversuch

Dexamethason ist ein cortisonhaltiges Medikament, das entzündungshemmend und schmerzstillend wirkt. Es kann aber auch Euphorie hervorrufen sowie die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit steigern. Abseits der medizinischen Indikation nennt Sportrechtler Michael Lehner im NDR einen möglicherweise weiteren Grund für die Einnahme im Sport: "Als Aufputschmittel, in Anführungszeichen, das einfach vor einer großen Anstrengung die Entzündungsschmerzen nicht spüren lässt." Grundsätzlich ist es nicht verboten, das Präparat auf ärztliche Anweisung auch vor einem Wettkampf einzunehmen. Nur muss dies bei einer Dopingkontrolle vom Mannschaftsarzt angegeben werden. Passiert das nicht, und es werden Spuren von Dexamethason im Urin analysiert, liegt ein Dopingverdachtsfall vor.

Was dann folgt, ist in der Regel ein Disziplinarverfahren. Bei Ramos war das anders: Eine Anfrage der Anti-Doping-Abteilung der UEFA beantwortete der Spieler knapp in vier Zeilen, wie die Dokumente zeigen. Er sei vom Real-Arzt am Tag vor dem Spiel behandelt worden. Mehr stünde in einer Erklärung des Mediziners, zu der er ihn aufgefordert habe, ließ Ramos wissen: "Ich hoffe, dass damit die Situation vollständig geklärt ist."

Real-Arzt gesteht Fauxpas

Ganz so einfach war es nicht, weil im Protokoll die Gabe von Dexamethason nicht aufgeführt war. Stattdessen stand dort, dass dem Abwehrchef am Tag vor dem Finale das ebenfalls zur Gruppe der Glukokortikoide zählende Celestone Chronodose in die linke Schulter bzw. das linke Knie gespritzt worden sei. Das Präparat mit ähnlicher Wirkweise steht auch auf der WADA-Verbotsliste. Die Rolle des Sündenbocks übernahm der Teamarzt, der das Dopingkontrollformular wie der Spieler unterschrieben hatte. Ramos, so übermittelte der Mediziner an die UEFA, sei unschuldig. Tatsächlich habe er ihm gegen die "chronischen Beschwerden" Dexamethason gespritzt. Die Anti-Doping-Regeln habe er keinesfalls verletzen wollen, sich bei der Angabe einfach nur vertan. Wegen der außergewöhnlichen Situation (royaler Besuch sowie die Euphorie nach der ersten Titelverteidigung eines Vereins in der Champions League überhaupt) sei ihm dieser Fauxpas passiert.

"Ein administrativer Fehler"

"Es fällt mir schwer, so eine Situation nicht als Schutzbehauptung zu werten", sagt Lars Mortsiefer aus dem Vorstand der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) und gibt in der Sportschau zu bedenken: "Wir reden von hochqualifizierten Spielern und hochqualifizierten Ärzten." Die UEFA aber akzeptierte die Erklärung. Man habe einen Experten befragt, hieß es. Der habe bestätigt, dass Celestone Chronodose in der angegebenen Dosierung der analysierten Dexamethason-Konzentration entspräche. Überdies würden es die geschilderten Umstände bei der gut zweistündigen Prozedur mit Blutentnahme und Uringabe als "sehr wahrscheinlich" erscheinen lassen, dass Spieler und Arzt "ein administrativer Fehler" unterlaufen sei. "Seien sie und Ihr Mannschaftsarzt in Zukunft besonders vorsichtig, wenn Sie einen Kontrollbogen bei einem Dopingtest ausfüllen." Dann war die Akte Ramos geschlossen.

In einem aktuellen Fall, bei dem Ramos wieder im Zentrum des Geschehens steht, ist diesmal allerdings die spanische Anti-Doping-Agentur AEPSAD involviert. Den Tatbestand umreißt ein Abteilungsleiter der Organisation, wie die Football-Leaks-Dokumente zeigen, mit Schreiben vom 21. September 2018 an Real Madrids Chefmediziner. Er basiert auf dem Protokoll des Kontrolleurs, das dieser am 15. April 2018 nach Reals 2:1-Sieg in der Primera División beim FC Málaga angefertigt hat.

Ramos schlägt Warnung in den Wind

Sergio Ramos von Real Madrid © imago/VI Images

Mit Real Madrid hat Sergio Ramos vier Mal die Champions League gewonnen.

Laut der Notizen soll es damals zu einem Disput zwischen dem Kontrolleur sowie dem Spieler und einem Teamarzt von Real gekommen sein, weil Ramos vor dem Dopingtest zunächst duschen wollte. Spieler und Mediziner hätten ihren "Unmut" geäußert, und Ramos sei "trotz meiner Warnungen", so der Dopingkontrolleur, und der Ankündigung ernsthafter Konsequenzen unter die Dusche gegangen.

Das Verbot hat durchaus nachvollziehbare Gründe, wie Lehner erklärt: "Man will in jeder Hinsicht vermeiden, dass irgendwelche Manipulationen passieren." Vielleicht durch Urin-Austausch, Zuleitung von Fremdurin oder sehr viel trinken, um Körperflüssigkeiten zu verdünnen. "Deshalb die strenge Überwachung des Athleten“, erklärt Lehner im NDR. Die Vorschriften besagen eindeutig, dass ein Sportler, der auf spanischem Hoheitsgebiet zu einer Dopingkontrolle gebeten wird, gegen das Anti-Doping-Gesetz des Landes verstößt, wenn er vor einem Urintest duscht oder badet. In einer Stellungnahme vom Samstag bestritt Ramos die Darstellung und erklärte, dass der Kontrolleur ihm das Duschen vor dem Dopingtest doch gestattet habe. Er habe das beantragt, weil man an dem Tag vor der Rückreise nur wenig Zeit gehabt habe.

Zwangabstieg und lange Sperre

Die Sanktionen für den Verein können weitreichend sein: eine Geldstrafe bis 300.000 Euro, Punktabzug oder sogar Zwangsabstieg. Ein Teamarzt kann bis zu vier Jahre gesperrt werden. Und ein Spieler? Ihm droht eine Sperre von vier Jahren, die auf zwei Jahre verkürzt werden kann, wenn er glaubhaft macht, dass der Verstoß unbeabsichtigt war. "Die Strafen wiegen äußerst schwer", betonte Reals Chefjurist laut der Football-Leaks-Dokumente in einer Mail Ende September an den Generaldirektor des viermaligen Champions-League-Siegers, José Ángel Sánchez.

Verfahren gegen Ramos?

Warum mehr als fünf Monate vergingen, bis die spanische Anti-Doping-Agentur Real Madrid offiziell über die neuerlichen Vorwürfe gegen Sergio Ramos informierte, blieb von den Verantwortlichen unerklärt. Lehner: "Normalerweise dauert das ein paar Tage." Was Ramos in seiner schriftlichen Stellungnahme angeführt hat, ist ebenfalls unbekannt. Eine detaillierte Anfrage des Recherchenetzwerks EIC zu den Ereignissen ließen der Spieler wie auch Real Madrid unbeantwortet.

Die AEPSAD scheint er überzeugt zu haben. Warum sonst wäre auf ein Verfahren (bisher) verzichtet worden, das Lehner wegen der "Verweigerung der Dopingkontrolle" für selbstverständlich hält? In einer Erklärung der Agentur heißt es: "Im vorliegenden Fall ergab das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens keine Tatsache, die den Schluss zulassen würde, dass es sich um einen Akt handelt, der einen Verstoß gegen die Anti-Doping-Bestimmungen darstellt."

Auch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) erklärte, dass kein Fehlverhalten vorliege. Die UEFA wies die Vorwürfe als "unbegründete Behauptungen entschieden und kategorisch zurück". Real Madrid betonte, dass Ramos nach Auffassung des Clubs Anti-Doping-Regeln "niemals verletzt" habe. Der Verteidiger selbst erklärte am Samstag nach der 0:3-Niederlage in Eibar: "Ich habe mich niemals und werde mich niemals an jeglicher Form von Doping beteiligen."

 

Das NDR Recherche-Team zu "Football Leaks"

Katrin Kampling, Sven Lohmann, Hendrik Maaßen, Han Park, Nino Seidel, Birgit Wärnke

Hörfunk-Umsetzung
Moritz Cassalette, Holger Gerska, Hendrik Maaßen

Online-Umsetzung
Andreas Bellinger, Matthias Heidrich, Thomas Luerweg, Sebastian Ragoß

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Football Leaks | 24.11.2018 | 18:00 Uhr

Stand: 26.11.18 11:54 Uhr