Football Leaks

Enttarnter "John": Angst vor der Auslieferung

von Andreas Bellinger und Hendrik Maaßen

Rui Pinto ist "John", die Quelle hinter Football Leaks. Die Auswertung seiner Millionen von Daten hat die verdorbene, bisweilen kriminelle Seite des Profifußballs zu Tage gefördert. Wer ist der Mann, der dem mächtigen König Fußball die Stirn bietet? Was treibt ihn an und was entgegnet er denjenigen, die ihm nun Cyberkriminalität und versuchte Erpressung vorwerfen? Der "Spiegel" hat gemeinsam mit dem NDR und dem französischen Investigativportal "Mediapart" Rui Pinto zum ersten persönlichen Interview getroffen.

Die Angst, entdeckt zu werden, war seit Jahren sein Begleiter. Zwar hatten die mehr als 70 Millionen teils geheimen Football-Leaks-Dokumente, die Rui Pinto alias "John" dem Spiegel übergab und die das Nachrichtenmagazin mit dem NDR und dem Recherchenetzwerk EIC teilte europaweit für Aufsehen und zahlreiche Ermittlungsverfahren gesorgt. Doch auf der anderen Seite brachten sie auch ihn in den Fokus der Justiz.

Hausarrest in Budapest

Als die Tarnung schließlich aufflog, erwartete ihn die Polizei am frühen Abend des 16. Januar vor seiner Wohnungstür in der ungarischen Hauptstadt Budapest und führte den als Kopf des bislang größten Datenlecks geltenden Portugiesen in Handschellen ab. Ein "Erdbeben" für den 30-Jährigen, dem die Auslieferung in sein Heimatland droht. Pinto hat Angst vor einem möglicherweise existenzbedrohenden Gerichtsverfahren.

Rui Pinto (l.) mit den Journalisten vom "Spiegel", NDR und dem französischen Investigativportal "Mediapart"

Journalisten vom "Spiegel", NDR und dem französischen Investigativportal "Mediapart" haben Rui Pinto (l.) in Budapest interviewt.

"Ich bin kein Hacker", sagte der Portugiese dem NDR und betonte, nicht der Einzige hinter den Football-Leaks-Enthüllungen zu sein. "Mit der Zeit kamen immer neue Quellen hinzu", so Pinto. Wie er an die Informationen gekommen ist, verrät er bis heute aber nicht. Nach zwei Tagen im Gefängnis durfte er in seine Budapester Wohnung zurückkehren. Hausarrest mit Auflage: eine Fußfessel tragen.

"Angriffsziel für Fans von Benfica Lissabon"

Pinto fürchtet die Rache seiner fußballbegeisterten Landsleute, sieht sich als "Angriffsziel vor allem für Fans von Benfica Lissabon". Dass ihm in seinem Heimatland der Prozess gemacht wird, will deshalb auch sein französischer Anwalt unbedingt verhindern. William Bourdon hat schon Edward Snowden vertreten, den wohl bekanntesten Whistleblower. Für den 62-Jährigen steht außer Frage, dass Pinto ebenso ein Whistleblower und kein Hacker ist. "In seiner Haltung erkenne ich keine Gier", sagte Bourdon dem Spiegel. Er habe aus enttäuschter Liebe zum Fußball und ohne eigene Absichten gehandelt.

Morddrohungen in der Heimat

In Lissabon beschuldigt die Generalstaatsanwaltschaft Rui Pinto der Cyberkriminalität und versuchten Erpressung. Wie portugiesische Medien berichteten, soll er im Jahr 2015 im Zusammenhang mit dem Topverein Sporting Lissabon vertrauliche Mails veröffentlicht und den FC Porto mit belastenden Unterlagen des Konkurrenten Benfica Lissabon versorgt haben, was Portugal elektrisiert und Benfica in eine Krise gestürzt hat. Pinto bestreitet die Vorwürfe im Interview, das der "Spiegel", der NDR und das französische Investigativportal "Mediapart" an zwei Tagen in seiner Eineinhalb-Zimmer-Bleibe in der ungarischen Hauptstadt geführt haben. "Ich habe kein Statement der Behörden gelesen, das mich mit dem Benfica-Skandal in Zusammenhang bringt." Sein Foto erschien trotzdem auf Titelseiten. "Mein Facebook-Account und meine Mailadresse wurden mit Morddrohungen geflutet."

Versuchte Erpressung?

Besonders schwer könnte für Pinto aber der Vorwurf wiegen, er habe im Herbst 2015 versucht, die Agentur Doyen Sports mit Insiderwissen zu erpressen. Tatsächlich hatte er offenbar belastendes Material, dessen Brisanz er aber nicht einschätzen konnte. "Ich schrieb der Firma unter falschem Namen (Artem Lobuzov, Anm.d.Red.) eine Mail. Ich bot an, dass ich für eine Summe zwischen 500.000 Euro und einer Million Euro bereit wäre, die Dokumente zurückzugeben."

Bourdon: "Ein kindlicher Streich"

Ein naiver Plan, um die Bedeutung der Unterlagen auszuloten. Mit der Hilfe eines Anwalts, der sich mit dem Geschäftsführer der Agentur auch traf. Er habe herausfinden wollen, "wie viel es sich Doyen kosten ließe, mich zum Schweigen zu bringen". Als Grund für eine Strafe tauge dies nach Ansicht von Jurist Bourdon aber nicht: "Es war eher ein kindlicher Streich. Er hat letztendlich selbst auf das Geld verzichtet, hat freiwillig widerstanden. Wir sind überzeugt, dass er dafür nicht verurteilt werden kann."

Die Angst vor einem Prozess in seinem Heimatland bleibt dennoch. "Ich bin ziemlich sicher, dass ich kein faires Verfahren in Portugal bekommen werde", sagte Pinto. "Natürlich gibt es Staatsanwälte und Richter, die ihren Job ernst nehmen. Aber diese Fußballmafia ist überall. Sie wollen die Botschaft aussenden, dass sich niemand mit ihnen anlegen soll."

FIFA-Skandal als Hauptauslöser

Den Mächtigen im Milliardengeschäft Profifußball hat der "Whistleblower" oft genug und bisweilen nachhaltig auf die Füße getreten. Seine Motivation: Der Fußball habe sich in eine völlig falsche Richtung entwickelt. "Die besten jungen Spieler wanderten nur noch zu Spitzenteams ab, der gesamte Wettbewerb verschob sich zugunsten der Topvereine." Der Hauptauslöser aber sei im Jahr 2015 der FIFA-Skandal gewesen. "Parallel zu all den Verhaftungen beim Weltverband sah ich, dass es bei zahlreichen Transfers in Portugal zu Unstimmigkeiten kam. Dass immer mehr Investoren in den Markt drängten. Ich fing an, Daten zu sammeln."

Millionen-Strafe für Ronaldo

Die Football-Leaks-Dokumente trugen mit dazu bei, dass Steuersünder Cristiano Ronaldo verurteilt wurde. Der Weltstar aus Portugal erhielt eine zweijährige Haftstrafe, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem zahlte ehemalige Real-Madrid-Profi 19 Millionen Euro. Für manche ein Deal mit fadem Beigeschmack. "Ich bin überzeugt davon, dass ich das Richtige getan habe", sagte Pinto. "Dafür sind und waren meine Daten hilfreich." Obwohl Ronaldo sein Lieblingsspieler ist. "Es ist mir gleichgültig, ob mein Lieblingsspieler oder mein Lieblingsverein, der FC Porto, betroffen sind. Ich gebe alle relevanten Daten weiter."

"Ermittlungsbehörden haben mich oft enttäuscht"

Ronaldos Verhalten außerhalb des Platzes müsse vollkommen anders bewertet werden. Strafrechtlich. Doch das ist nicht immer so, wie die Realität zeigt. Ärgerlich macht Pinto das: "Die Ermittlungsbehörden haben mich oft enttäuscht. Nehmen Sie nur die systematische Steuerhinterziehung der Fußballbranche in Spanien. Berater, Anwälte, Banker: Sie alle blieben unbehelligt. Dabei sind sie die Strippenzieher."

"Ich sehe mich nicht als Hacker"

Und doch hat "John" weitergemacht: "Ich wollte den Druck auf die Behörden und auch auf die Gesellschaft erhöhen. Ich habe daran geglaubt, dass sich irgendwann etwas ändern muss." Tatsächlich aber hat es dem in Vila Nova de Gaia nahe Porto geborenen Fußball-Fan den Ruf eines Hackers eingebracht, der seine Daten unredlich generiert hat. Pinto: "Am Ende geht es darum, dass Whistleblower Vorgänge offenlegen, die der Gesellschaft sonst verborgen blieben: Verbrechen, Missstände, Fehlverhalten. Im besten Fall entfachen Whistleblower damit eine öffentliche Debatte und lösen Ermittlungsverfahren der Behörden aus."

Normales Leben in Budapest

"John" war in den einschlägigen Fußball-Kreisen gesucht und gehasst. Die kolportierte Geschichte, dass er sich in den vergangenen Jahren versteckt und meist nicht länger als zwei Tage an einem Ort verweilt habe, stimmt so allerdings nicht. "Ich hatte die ganze Zeit hier in Budapest meine Wohnung. Habe hier ganz normal gelebt." Viel gereist sei er. Aber stets mit seinem normalen Personalausweis. Nur seiner ungarischen Freundin habe er nicht die Wahrheit gesagt, um sie nicht zu beunruhigen oder sogar in Gefahr zu bringen. Sie hat es ihm nicht krummgenommen, hilft ihm beharrlich durch die schwere Zeit.

Reger Austausch mit Behörden

Und nun? Pinto ist im regen Austausch vor allem mit den Behörden in Frankreich. Die Franzosen wirkten entschlossen und professionell: "Sie machen klar, dass sie Fälle von Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung im Fußball ernsthaft verfolgen wollen." Vom Metropolitan Police Department in Las Vegas habe er eine Anfrage in der Causa Ronaldo bekommen, dem von einer US-Amerikanerin Vergewaltigung vorgeworfen wird. Was der für Juventus Turin spielende Weltstar bestreitet.

Ein paar Mails von Steuerbehörden habe Pinto bekommen - auch aus München. Gespräche gab es zudem mit Damian Graf, dem für die FIFA-Affäre zuständigen Schweizer Staatsanwalt sowie dem Bundesanwalt in Brüssel. Die Angst vor einer Auslieferung nach Portugal aber bleibt: "Ich fürchte, dass wenn ich ein portugiesisches Gefängnis betrete, vor allem eines in Lissabon, ich dort nicht lebend herauskomme."

Das NDR Recherche-Team zu "Football Leaks"

Katrin Kampling, Sven Lohmann, Hendrik Maaßen, Han Park, Nino Seidel, Birgit Wärnke

Hörfunk-Umsetzung
Moritz Cassalette, Holger Gerska, Hendrik Maaßen

Online-Umsetzung
Andreas Bellinger, Matthias Heidrich, Thomas Luerweg, Sebastian Ragoß

Dieses Thema im Programm:

Sportschau | 02.02.2019 | 18:00 Uhr

Stand: 01.02.19 18:12 Uhr