Gianni Infantino im Gegenlicht © imago Foto: Ulmer

FIFA

Ethik-Code der FIFA: Infantino mischt sich ein

von der Football-Leaks-Redaktion des NDR

Der Ethik-Code ist sozusagen das gute Gewissen des Fußball-Weltverbandes FIFA. Die Kommission, an deren Spitze jahrelang der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert gestanden hat, soll unabhängig sein - und auch den Präsidenten kontrollieren. Die Realität sieht anders aus, wie die Football-Leaks-Dokumente zeigen, die der "Spiegel" erhalten und mit dem NDR und dem Recherchenetzwerk EIC geteilt hat. Das größte Datenleck der Fußball-Geschichte zeigt, wie FIFA-Chef Gianni Infantino nach außen für die Unabhängigkeit der Gewalten steht, im Hintergrund aber einiges dafür tut, genau dies auszuhebeln.

Die Bilder gingen um die Welt und es wirkte fast so, als sei den Ermittlern ein Schlag gegen das organisierte Verbrechen gelungen. Hochrangige Funktionäre des Fußballweltverbandes FIFA waren an diesem trüben Dezember-Morgen 2015 unter anderem wegen des Vorwurfs der Korruption und Geldwäsche aus ihrem Züricher Luxushotel geholt und verhaftet worden. Gianni Infantino war damals noch kein FIFA-Präsident. Die kriminellen Machenschaften waren dem Schweizer durchaus nützlich auf dem Weg an die Spitze des Weltfußballs. "Die Welt wird mir noch applaudieren, wie ich die FIFA aufgeräumt habe", verkündete er nach seiner Wahl ein knappes Jahr später. Tatsächlich findet "Korruption" in der FIFA seit diesem Jahr offiziell nicht mehr statt - das Wort wurde aus dem neu verabschiedeten Ethik-Code ersatzlos gestrichen. Die FIFA verteidigt dies: "Das gleiche Verhalten, das in dem früheren Code strafbar war, ist es auch immer noch unter dem neuen."

02:53 min | 04.11.2018 | NDR Info | Autor/in: Maaßen, Hendrik

Football Leaks: Das System Infantino

Die Football-Leaks-Dokumente belegen, dass sich Gianni Infantino über viele Regeln hinwegsetzt, die sein System stören. Auf den Spuren des ehemaligen UEFA-Generalsekretärs und heutigen FIFA-Präsidenten.

Verstoß gegen die Gewaltenteilung

Während Infantino nach außen für die Unabhängigkeit der Gewalten steht, hebelt er im Hintergrund genau dies aus. So war es wohl auch bei der Besetzung der Ethik-Kommission und der Ausarbeitung des neuen Codes. Das geht aus Football-Leaks-Dokumenten hervor, die der "Spiegel" erhalten und mit dem NDR sowie dem Recherchenetzwerk EIC geteilt hat. Es  wird deutlich, wie der FIFA-Präsident und gelernte Jurist das "gute Gewissen" des Weltfußballs bearbeitet hat. Und er hat dafür gesorgt, ihm gefährlich erscheinende Personen auszutauschen und durch eher harmlose Ermittler zu ersetzten. Infantino hat sich aktiv in den neuen Ethik-Code eingemischt: Die Regeln, die ihn behindert haben, wurden geschwächt. Infantino tat dies, wie das Datenleck offenlegt, obwohl die Ethik-Kommission unabhängig ist. Sein Einfluss kommt einem Verstoß gleich gegen die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Ethik-Kommission und die Gestaltung des Ethik-Codes.

Eckerts Aus am Handy

Der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert war von Juli 2012 bis Mai 2017 Vorsitzender der Ethik-Kommission. Er war beteiligt, als gegen hochrangige Funktionäre wie Sepp Blatter, der von 1998 bis 2016 FIFA-Präsident war, und UEFA-Präsident Michel Platini (2007 bis 2015) ermittelt wurde. Auch Infantino war Gegenstand von Überprüfungen der Kommission, weil der Verdacht bestand, Russland habe ihm in seinem Wahlkampf Flüge bezahlt. Das Verfahren wurde eingestellt, erklärt Eckert in der ARD-Dokumentation "Football Leaks: Von Gier, Lügen und geheimen Deals" (Sonntag, 21.45 Uhr im Ersten). Kurz vor dem FIFA-Kongress 2017 in Bahrain erfuhren er und sein Kollege Cornel Borbely, ein Schweizer Rechtsanwalt, dass ihre Verträge als Chefs der rechtsprechenden Kammer der FIFA Ethik-Kommission nicht verlängert würden. Nicht im persönlichen Gespräch, wie Eckert sagt, sondern durch die Medien, als sie in Bahrain aus dem Flugzeug gestiegen und ihr Handy wieder eingeschaltet hatten.

Nachfolgerin zu spät nominiert

Ein normaler Vorgang für die FIFA, die sich in einer Stellungnahme darauf beruft, dass die Verträge Ende 2017 ausgelaufen sind. Es sei keine große Überraschung gewesen, dass beide abgelöst worden sind. Infantino äußerte sich dagegen nicht. Eckerts Nachfolger wurde Vasilios Skouris, der von 2003 bis 2015 Präsident des Europäischen Gerichtshofs war. Der frühere Innenminister Griechenlands ist Professor an der Bucerius Law-School in Hamburg. Er hat in Berlin studiert und in Hamburg promoviert. Für Borbely übernahm Claudia Rojas aus Kolumbien. Sie war zu spät nominiert worden, was den FIFA-Statuten zwar widerspricht, aber keine Konsequenzen hatte. Der FIFA-Kongress habe die Kandidaten annähernd einstimmig gewählt, teilte Infantino auf Nachfrage mit. Und: "Beide sind absolut qualifiziert für diesen Job."

Infantino schickt Änderungen für den Ethik-Code

Textdokument © NDR

"Als guter alter Anwalt": Mail von Gianni Infantino an Vasilios Skouris.

Gemeinsam mit Rojas hat Skouris nach der Wahl 2017 angekündigt, den Ethik-Code zu verändern. Einen ersten Entwurf schickte er Infantino am 21. Dezember 2017 in einer äußerst freundlich verfassten E-Mail. Absender: die Adresse der Hamburger Bucerius Law-School. Der Chairman der Adjucatory Chamber der FIFA Ethik-Kommission, so sein Titel, bittet darin um Kommentare bis Mitte Januar. Infantinos Antwort am 11. Januar 2018 enthält Änderungen an 14 Stellen: "Ich finde es wirklich ausgezeichnet ... Dennoch kann ich als 'guter alter Anwalt' (sozusagen) eine Verordnung nicht ohne Kommentare und/oder Vorschläge lesen." Die Rolle der FIFA als eine Art "Weltpolizei des Fußballs" gefiel ihm nicht. Die FIFA solle nur bei bestimmten Fällen übernehmen; ansonsten müssten die National- und Kontinentalverbände zuständig sein. Die FIFA müsste aber immer einschreiten können, wenn sie es für nötig hält. Regeln gegen den Wettbetrug dürften überdies nicht die Möglichkeit einschränken, Wettanbieter als Werbepartner zu haben.

Eckert: "Gewaltentrennung ad absurdum geführt"

Heraus kam ein Ethik-Code, der insgesamt als "aufgeweicht" gelten muss. Das Wort Korruption wurde gestrichen. "Aber dadurch beseitigt man die Korruption natürlich nicht", moniert Eckert. Wer sich über die FIFA in diffamierender Weise äußert, wird bestraft. Es gelten neue Verjährungsfristen. Allgemein fünf Jahre, zehn Jahre für Match-Fixing und Bestechung. Bislang war die Bestrafung zumeist ohne jede Frist möglich. "Es hat meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt", sagte der ehemalige FIFA-Kontrolleur Miguel Maduro dem Recherchenetzwerk EIC. Und Eckert betont in der ARD-Doku: "Die Änderungen tragen die Handschrift des Präsidenten. Die Gewaltentrennung, die es zwischen Präsident und Ethik-Kommission gab, ist ad absurdum geführt worden."

Das NDR Recherche-Team zu "Football Leaks"

Katrin Kampling, Sven Lohmann, Hendrik Maaßen, Han Park, Nino Seidel, Birgit Wärnke

Hörfunk-Umsetzung
Moritz Cassalette, Holger Gerska, Hendrik Maaßen

Online-Umsetzung
Andreas Bellinger, Matthias Heidrich, Thomas Luerweg, Sebastian Ragoß

Dieses Thema im Programm:

Dokus im Ersten | 04.11.2018 | 21:45 Uhr

Stand: 04.11.18 10:10 Uhr